Handwerksbetriebe brauchen eine Perspektive

Exitstrategie erarbeitet – betroffene Betriebe sollen stufenweise wieder öffnen dürfen – berufliche Bildung leidet

Der Impfstoff wird wegen der Lieferengpässe aller Voraussicht nach bis ins Frühjahr 2021 hinein knapp bleiben. Umso mehr wünscht sich und braucht das Handwerk jetzt eine Strategie von der Politik, wie in den kommenden Wochen die Einschränkungen für die Bevölkerung allgemein und speziell für die Wirtschaft gestalten werden sollen. Die Handwerkskammern haben deshalb für das baden-württembergische Handwerk einen Vorschlag für eine Exitstrategie erarbeitet. Diese Strategie schlägt eine behutsame, dem Gesundheitsschutz entsprechende, Öffnung für Handwerksbetriebe und Bildungseinrichtungen ab dem 15. Februar 2021 vor. Denn die Lage für die betroffenen Handwerksbetriebe verschärft sich von Tag zu Tag mehr. Mit jeder weiteren Verlängerung der Maßnahmen leiden die Handwerksbetriebe zunehmend unter den Auswirkungen des Lockdowns. Allein im Gebiet der Handwerkskammer Ulm von der Ostalb bis zum Bodensee sind mehr als 3.000 der insgesamt 19.500 Betriebe von den aktuellen Schließungen direkt betroffen. In diesen Betrieben – hauptsächlich Friseur- und Kosmetikbetriebe – arbeiten knapp 10.000 Beschäftigte. „Es kann nicht einfach immer weiter und weiter so gehen. Es ist für sehr viele Betriebe jetzt zwölf“, so Dr. Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm.

Weil auch die zugesagten Finanzhilfen des Bundes weiter auf sich warten lassen oder bislang nur teilweise ausgezahlt werden, wird die Situation zunehmend existenzgefährdend. Deshalb wachsen im regionalen Handwerk der Unmut und das Unverständnis. Die Betriebe benötigen jetzt eine klare Perspektive: Sie brauchen die finanziellen Unterstützungsleistungen und sie brauchen Klarheit, wann und in welcher Form sie wieder öffnen dürfen. Sonst droht die Stimmung zunehmend zu kippen. Daher braucht es jetzt eine Exitstrategie. Das Handwerk schlägt ein schrittweises Vorgehen für Öffnungen vor – in Kombination mit effektiven Hygienekonzepten. Bei einer Inzidenz unter 100 sollen alle Gewerke im Handwerk, also auch körpernahe Dienstleistungen wie Friseure und Kosmetiker, ihrer Tätigkeit wieder uneingeschränkt nachgehen dürfen. In der Stadt Ulm und den sechs Landkreisen im Gebiet der Handwerkskammer Ulm gibt es insgesamt 1.381 Kosmetikbetriebe und 1.699 Friseurbetriebe. Davon befinden sich 174 Kosmetiker/219 Friseure im Alb-Donau-Kreis, 163/218 im Landkreis Biberach, 217/236 im Bodenseekreis, 121/130 im Landkreis Heidenheim, 283/402 im Ostalbkreis, 281/361 im Landkreis Ravensburg und 142/133 im Stadtgebiet Ulm.

Auch für die Aus- und Weiterbildung, insbesondere in den überbetrieblichen Bildungsstätten des Handwerks, ist ein strategisches Vorgehen vonnöten. „Nicht nur Abiturprüfungen stehen an, auch viele Gesellen- und Meisterprüfungen. Sie gilt es ernst zu nehmen und den Kandidaten keine Steine in den Weg ihrer beruflichen Entwicklung zu legen“, sagt Mehlich. Denn wenn der jetzige Status Quo weiter beibehalten wird, wird sich die Ausbildungs- und damit die Fachkräftesituation im regionalen Handwerk weiter verschlechtern. 2020 ist das Handwerk im Ulmer Kammergebiet mit einem leichten Minus bei den neuen Lehrverträgen im Vergleich zum Vorjahr noch glimpflich davongekommen. Die Handwerkskammer Ulm warnt aber davor, dass sich die Ausbildungszahlen in diesem Jahr nicht zuletzt wegen der beschränkten Unterrichtsmöglichkeiten ein weiteres Mal verschlechtern könnten. Hier gelte es rechtzeitig gegenzusteuern, um größeren Schaden abzuwenden. Daher soll beispielsweise bei einer Inzidenz unter 50 das gesamte außerbetriebliche Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebot in Präsenz bei reduziertem Regelbetrieb zulässig sein. Die Bildungsstätten der Handwerkskammer Ulm in Ulm am Kuhberg, am Eselsberg, aber auch in Friedrichshafen und in Schwäbisch Gmünd sind offen für die Durchführung von täglichen Schnelltests, um die Sicherheit vor Ort zu erhöhen.