Ein Jahr Corona-Warn-App: Eine gemischte Bilanz

Seit einem Jahr ist die sog. Corona-Warn-App (CWA) der Bundesregierung im Einsatz. Zeit also, Bilanz zu ziehen.

Als am 16. Juni 2020 Dorothee Baer in ihrer Funktion als Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung die neue App auf einer Pressekonferenz ankündigte, sprach sie von einen „großen Bahnhof“. Es herrschte teils euphorische Hoffnung seitens der Politik, im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie einen entscheidenden Schritt vorangekommen zu sein. Kanzleramtschef Helge Braun nannte die Nutzung der App in Anlehnung an die erste Mondlandung gar „einem kleinen Schritt für jeden von uns, aber ein großer Schritt für die Pandemiebekämpfung“.

Doch was hat das digitale Prestige-Projekt der Bundesregierung tatsächlich gebracht?

Die Ziele der Corona-Warn-App waren von Anfang an sehr ehrgeizig, nämlich potenziell infizierte Personen zu warnen und somit Infektionsketten frühestmöglich zu unterbrechen. Gleichzeitig sollte aber auch die Datensouveränität des einzelnen Bürgers gewahrt werden. Ansonsten, so die Vermutung der Experten, würde die App auf wenig Gegenliebe und Akzeptanz der Deutschen stoßen. Es sollte auf jeden Fall der Eindruck vermieden werden, dass der Staat seine Bürgerinnen und Bürger systematisch hinsichtlich ihrer Gesundheitsdaten überwacht und ihre Bewegungsprofile aufzeichnet.

Deshalb wurde der ursprüngliche Plan von Gesundheitsminister Spahn verworfen, die systematische Auswertung der Standortdaten von Telekommunikationsanbietern zur Pandemiebekämpfung zu verwenden. Dies hätte nicht nur datenschutzrechtliche Fragen aufgeworfen, das Verfahren wäre technisch auch zu unpräzise in der Erfassung gewesen.

Aus diesem Grund schlugen Technikexperten vor, den Funkstandard Bluetooth Low Energy (BLE), der mittlerweile von fast allen Smartphones unterstützt wird, zu verwenden. Mit dieser Funktechnik ließe sich eine direkte Verbindung zwischen wenige Meter entfernten Mobiltelefonen aufbauen, die dadurch Daten austauschen könnten. Somit ließe sich nachvollziehen, welche Menschen sich persönlich getroffen hätten. Das Handy einer erkrankten Person könnte somit andere Handys in seiner unmittelbaren Umgebung vor einem Infektionsrisiko warnen, so die Idee.

Nach wissenschaftlichen Vorarbeiten des Fraunhofer Institut war schon früh klar, dass die Verwendung des Bluetooth-Funkstandard sich nur bedingt für die Abstandsmessung zwischen zwei Handys eignet. Somit konnte man in vielen Fällen keine genaue Aussage darüber treffen, ob eine vermutet infizierte Kontaktperson einen Abstand von einem oder von 10 Metern hatte.

Ein weiterer Knackpunkt: Von Anfang an war den Experten klar, dass der wichtigste Erfolgsfaktor der App ihre flächendeckende Nutzung sein würde. Nur wenn die Mehrzahl der Deutschen die App herunterladen, installieren und nutzen würde, könnte man sicher sein, dass die App zuverlässig ihre Arbeit verrichten und Kontakte nachverfolgen kann. Deshalb war es den politischen Verantwortlichen wichtig, für die Zuverlässigkeit und die Vertrauenswürdigkeit der App hinsichtlich des Datenschutzes zu werben. Nach Einschätzungen von IT-Experten hat die Programmierung der App tatsächlich diese Versprechungen erfüllt, indem sie eine anonymisierte und dezentrale Datenspeicherung umsetzte.

Trotzdem wird nach Einschätzung des RKI die Corona-Warn-App aktuell von höchstens 20 Millionen Menschen in Deutschland aktiv genutzt. Selbst bei anfangs euphorischen Anwendern der App hat sich nach kurzer Zeit Ernüchterung breit gemacht. Vor vielen wird die Zuverlässigkeit der Infektionsmeldungen in Frage gestellt. Tatsächlich wurden in Deutschland zwischen Oktober 2020 und März 2021 nur ca. 20% aller bestätigt positiven Testfälle in die Corona-Warn-App übertragen. Dies hat den Ruf der App in der Bevölkerung nachhaltig beschädigt, viele Anwender entschlossen sich dazu, die App wieder von ihren Handys zu löschen.

Politik und Gesundheitsexperten versuchen dem entgegenzutreten, indem sie für die Zukunft höhere Zuverlässigkeit und weitere wichtige Funktionen versprechen. So kann mittlerweile der digitale Impfnachweis in der App hinterlegt werden.

Nach einem Jahr Corona-Warn-App fällt das RKI dennoch ein positives Urteil über die digitale Pandemiebekämpfung. Es vermutet, dass in den letzten 12 Monaten immerhin bis zu 230.000 Corona-Infektionsketten identifiziert und somit unterbrochen werden konnten. Bei einer Gesamtzahl von insgesamt 3,7 Millionen Covid-19-Infektionen in Deutschland im gleichen Zeitraum entspräche dies aber nur einem Anteil von 6%.



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