Karriereeinstieg im regionalen Handwerk mit jedem Schulabschluss möglich

Schulbildung spielt für Handwerksbetriebe bei der Azubi-Auswahl eine untergeordnete Rolle – rund 500 offene Lehrstellen im Gebiet der Handwerkskammer Ulm

Drei junge Männer arbeiten an einer Holzkonstruktion.
Foto: www.amh-online.de

Die Handwerkskammer Ulm grenzt sich ab von der jüngsten Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) für die Bertelsmann-Stiftung. Den Ergebnissen zufolge sollen junge Menschen mit Hauptschulabschluss sich immer schwerer tun, einen Ausbildungsplatz zu finden. Im Handwerk zwischen Ostalb und Bodensee zeichnen die Ausbildungszahlen ein anderes Bild: Richtig ist, dass sich immer mehr junge Menschen mit Abitur für eine Ausbildung entscheiden. Im vergangenen Jahr waren es 471 und damit rund 18 Prozent aller neuen Ausbildungsverträge. Auch die Anzahl der Azubis mit Realschulabschluss ist in den vergangenen zehn Jahren konstant gestiegen. Inzwischen haben rund 40 Prozent der neuen Auszubildenden Mittlere Reife. Zum Vergleich: 2012 waren es noch 21 Prozent. „Wir brauchen im Handwerk auch die Besten, um unsere Betriebe und die Kundenwünsche bedienen zu können. Aber gleichzeitig geben wir auch jedem anderen Schulabgänger eine Chance, der motiviert im Handwerk arbeiten und lernen will. Selbst wenn er oder sie keinen Schulabschluss hat“, sagt Dr. Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm. Und ergänzt: „Alles andere wäre ja Unsinn angesichts einer Vielzahl an unbesetzten Ausbildungsplätzen in der Region.“ 

Chancen eine Lehrstelle im Handwerk zu finden, stehen gut

Ein Grund für den wachsenden Anteil an Schülern mit mittlerem Schulabschluss ist in der Einführung der Gemeinschaftsschulen zu sehen: Sie hat die Durchlässigkeit vom Hauptschulabschluss zur Mittleren Reife vereinfacht. Deshalb nehmen Hauptschüler zahlenmäßig ab und kommen mit einem mittleren Schulabschluss auf den Ausbildungsmarkt. 2015 kamen noch 44 Prozent der neuen Azubis aus der Hauptschule, inzwischen sind es rund sieben Prozent weniger. Gleichzeitig hat der Anteil der Gymnasiasten deutlich zugenommen. „Es gelingt uns immer mehr, diesen Schülerinnen und Schülern zu zeigen, wie spannend, attraktiv und modern eine Ausbildung im Handwerk ist. Das heißt aber nicht, dass wir uns für die anderen nicht mehr interessieren. Diesen Schluss der Studie können wir nicht nachvollziehen“, so Mehlich.  

Knapp 1.000 Jugendliche mit Hauptschulabschluss haben im vergangenen Jahr in den Handwerksbetrieben in der Region eine passende Stelle zu ihren Talenten und Fähigkeiten gefunden. Auch für motivierte Schulabbrecher gibt es in den Betrieben Möglichkeiten, eine handwerkliche Karriere zu starten. So haben von den 2.683 Jugendlichen, die sich im Jahr 2022 für eine Ausbildung im Handwerk entschieden haben, 81 junge Menschen keine Schulausbildung abgeschlossen. Die Chancen eine Lehrstelle zu finden, sind für alle Schulabgänger gut: Derzeit sind im Kammergebiet der Handwerkskammer Ulm noch rund 500 Lehrstellen in den unterschiedlichen Gewerken frei.

Ausbildungsbetriebe legen bei der Azubi-Auswahl Wert auf Motivation

Der Schulabschluss der Bewerberinnen und Bewerber spielt für die Ausbildungsbetriebe im Kammergebiet nur eine untergeordnete Rolle. Das belegt auch die jüngste Umfrage der Handwerkskammer Ulm zu den angebotenen Lehrstellen ihrer Betriebe. So gibt mehr als jeder zweite befragte Betrieb an, dass Bewerber mit Hauptschulabschluss willkommen sind. Etwa jeder vierte Betrieb gibt an, dass der Schulabschluss bei der Vergabe der Ausbildungsplätze keine Rolle spielt. Wichtiger ist für die Betriebe bei der Auswahl ihrer Azubis der persönliche Eindruck. Schulnoten sind demnach weniger ausschlaggebend als Motivation und die Bereitschaft, mitanzupacken. „Fürs regionale Handwerk kommt es weniger darauf an, von welcher Schulart ein Bewerber kommt, sondern viel mehr, wo er hinwill“, fasst Mehlich die Umfrage zusammen.

Einstieg ins Berufsleben über eine handwerkliche Ausbildung schaffen

Gerade die Corona-Pandemie hat den Betrieben in den vergangenen Jahren die Suche nach passenden Nachwuchshandwerkern erschwert. Traditionelle Kennenlernwege waren versperrt: Ohne Berufsorientierung und Praktika hatten junge Menschen nur eingeschränkte Möglichkeiten, die knapp 130 verschiedenen Handwerksberufe kennenzulernen und vor allem selbst auszuprobieren. Laut den Zahlen der Bertelsmann-Stiftung steigt seit Corona die Zahl der Jugendlichen, die keinen Einstieg mehr ins Berufsleben finden: Die Anzahl der 15- bis 24-Jährigen, die sich weder in Ausbildung noch in Schule oder Arbeit befinden, hat sich zwischen 2019 und 2021 um mehr als ein Viertel erhöht. „Einzig diese Zahlen können wir aus der Studie nachvollziehen: Zu viele Jugendliche wenden sich überhaupt keinem Einstieg ins Berufsleben zu. Wo sind sie? Das muss uns Sorgen machen. Aber jeder, der kommt und Lust hat, dem können wir im Handwerk eine spannende Perspektive geben“, erklärt Mehlich.